BGR Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe

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Verstrickung und Verdrängung:
Geologische Ressortforschung in der NS-Zeit und nach dem Krieg

In einem gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) getragenen Forschungsprojekt lassen die BGR sowie die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) , die ebenfalls dem BMWi nachgeordnet sind, ihre Vergangenheit während der NS-Zeit und der Nachkriegsepoche erforschen. Die heutigen Bundesbehörden gehen auf Vorgängerinstitutionen zurück, die während der NS-Zeit wichtige Aufgaben in Forschung und Wissenschaft erfüllten und sich nach 1933 in den Dienst des Regimes stellten.
Das Forschungsprojekt soll zwei wichtige Fragen beantworten: Warum leisteten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in unterschiedlichen Behörden, die sich überwiegend nicht als politisch verstanden, so willig wichtige stabilisierende Beiträge zur Aufrüstung und Kriegsführung des menschenverachtenden NS-Regimes? Und wie gingen sie und die Behörden, in denen sie arbeiteten, nach 1945 mit der schrecklichen NS-Vergangenheit und der eigenen Verantwortung um?
Das Forschungsprojekt, das zum 1. Oktober 2020 begonnen hat, wird von den beiden renommierten Historikern Prof. Dr. Helmut Maier (Bergische Universität Wuppertal) und Prof. Dr. Carsten Reinhardt (Universität Bielefeld) geleitet, die bereits Studien zur Wissenschaftsgeschichte in der NS- und der Nachkriegszeit vorgelegt haben. Angelegt ist das Projekt auf drei Jahre. Die Ergebnisse sollen auf internationalen Tagungen, in mehreren Monografien sowie einem biografischen Teilprojekt zu Tätern und Täterinnen sowie Verfolgten präsentiert werden.


Prof. Dr. Carsten ReinhardtProf. Dr. Carsten Reinhardt Quelle: © Philipp Ottendörfer

Interview mit Prof. Dr. Dr. Helmut Maier (Bergische Universität Wuppertal) und Prof. Dr. Carsten Reinhardt (Universität Bielefeld), Leiter des Forschungsprojekts zur Geschichte der BGR bzw. ihrer Vorgängerinstitutionen während der NS-Zeit und der Nachkriegszeit.





Welche Themen untersuchen Sie im Forschungsprojekt zur BGR und ihren Vorgängerinstitutionen?
Bei den nachgeordneten Behörden, mit denen sich die Studie befasst, handelt es sich um Ressortforschungseinrichtungen, die während des „Dritten Reiches“ extrem expandierten. Das war auch bei den BGR-Vorgängerinstitutionen so. Waren es im Fall der Preußischen Geologischen Landesanstalt 1933 noch gut 200 Beschäftigte, so explodierte ihre Zahl bei der Nachfolgeinstitution, dem Reichsamt für Bodenforschung, bis 1944 förmlich auf über 700. Daraus resultiert ein Schwerpunkt unserer Arbeit für die Zeit bis zur Befreiung: Welche Aufgaben erfüllten die Häuser als offensichtlich kriegsrelevante Institutionen des NS-Herrschafts- und Vernichtungsapparats? Wie verliefen die Schicksale politisch und rassisch Verfolgter? Welche politische Rolle spielten die führenden Mitarbeiter und welche Beiträge leisteten sie für die Kriegsführung?

Unser zweiter Themenschwerpunkt bezieht sich auf die Zeit ab 1945 bis ca. Anfang der 1960er Jahre. Hier geht es um die Erinnerungskulturen in Ost und West: Wie wurde über die NS-Belastung der Häuser gesprochen? Wie war der Umgang mit den ehemals Verfolgten und welche Bedeutung hatten die bis 1945 Verantwortlichen für die Forschungsvorhaben der 1950er Jahre? Welche Narrative der frühen Nachkriegszeit wirken sich auf die Erinnerungskultur bis heute aus?

Wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor?
In den letzten 30 Jahren gab es einen Boom in der NS-Forschung auch im Bereich der Wissenschafts- und Technikgeschichte. Wir schließen an diesen Forschungsstand an und verstehen die Ressortforschungseinrichtungen als Zentren der kriegsrelevanten Wissensproduktion. Wir blicken auf die Entwicklungen der einzelnen Institutionen: Mitarbeiter, Etats und Forschung. Vor allem jedoch nehmen wir auch die Querverbünde mit anderen Institutionen in den Blick. Denn die Häuser waren in einer Vielzahl von Expertengremien gefragt – sei es bei den Oberkommandos der Wehrmachtsteile Heer, Luftwaffe, Kriegsmarine – beim Rüstungsministerium, beim Reichsamt für Wirtschaftsausbau oder bei den Wirtschaftsgruppen und wissenschaftlichen Gesellschaften.

Die Ergebnisse, die wir aus der Forschung bis 1945 erzielen, bilden die Grundlage der Untersuchungen für die Zeit nach 1945. Dies gilt besonders für die Biographien, also zum einen der Verfolgten, zum andern der „Täter“, aber auch für die schwierige Frage der Mitverantwortung im Bereich der Zwangsarbeit und Okkupation speziell in Osteuropa. Durch die Erforschung der Verstrickung bis 1945 sind wir in der Lage, die nach 1945 konstruierten Narrative auf den Prüfstand zu stellen und die Widersprüche und Auslassungen zu identifizieren.

Welche Erkenntnisse haben Sie nach einem Jahr Forschungsarbeit bereits gewonnen?

Im Fall der Preußischen Geologischen Landesanstalt zeigen sich die personellen, organisatorischen und strategischen Kontinuitäten mit Blick auf die Wehr- und Kolonialgeologie seit dem Ersten Weltkrieg. Wie unser Forscherkollege Dr. Sören Flachowsky bei den bisherigen Untersuchungen im Projekt herausgefunden hat, legten die Beamten der Preußischen Geologischen Landesanstalt eine vergleichsweise hohe Affinität zum Nationalsozialismus an den Tag. Außerdem verfügen wir inzwischen über ein deutlich präziseres Bild über die Expansion in die von der Wehrmacht eroberten Gebiete. Dies betrifft die Gründung von 15 Außenstellen des Reichsamts für Bodenforschung u. a. von Metz und Oslo über Prag und Kiew bis auf die Krim. In diesem Zusammenhang kam es auch zum Einsatz von Zwangsarbeitern.

Nach 1945 erfolgte die Aufspaltung der Häuser, wobei im Osten wie im Westen die personelle Kontinuität vorherrschte. Dies gilt auch für die im Nationalsozialismus an höchster politischer Stelle aktiven Exponenten der Häuser. Infolge der Abschottung vom Weltmarkt erfuhr die Erforschung der eigenen Bodenschätze durch die Staatliche Geologische Kommission in der DDR wie bereits im Nationalsozialismus besondere Förderung. Unser Forscherkollege Dr. Björn Hofmeister konnte ermitteln, dass die DDR Ende der 1950er Jahre mit über 1.400 mehr als doppelt so viele Geologen beschäftigte wie die alte Bundesrepublik.

Wie ausgeprägt war die Verstrickung in den NS-Staat?

Alfred Bentz (4. v.li.) im Mai 1940 mit dem Präsidenten der Reichsstelle (später Reichsamt) für Bodenforschung, Wilhelm Keppler (2.v.li.) im galizischen Erdölgebiet von Harklowa (Polen)Alfred Bentz (4. v.li.) im Mai 1940 mit dem Präsidenten der Reichsstelle (später Reichsamt) für Bodenforschung, Wilhelm Keppler (2.v.li.) im galizischen Erdölgebiet von Harklowa (Polen). Bentz, späterer Präsident der BGR, war bei der Behörde Leiter der Abteilung Erdöl Quelle: BGR

In der NS-Forschung verstehen wir die Frage der Verstrickung nach Jahren der Täter- und Opferforschung heute aus einer erweiterten Perspektive. Denn es geht darum, die Funktionalität des Herrschafts- und Vernichtungsapparates zu verstehen und zu erklären. Nach wie vor ist es wichtig, die Zugehörigkeit zu NS-Organisationen zu kennen. Um jedoch einen Grad der Verstrickung zu vermessen, untersuchen wir die Aktivitäten unserer Protagonisten im Rahmen ihrer Handlungsspielräume. Ob sich also auf der einen Seite Resistenzen nachweisen lassen oder auf der anderen die aktive Zuarbeit zu Krieg und Vernichtung. Im Fall der BGR-Vorgängerinstitutionen zeigt sich die tiefe Verstrickung auf vielfältige Weise, denn sie leisteten mit Blick auf die Themen Rohstoffe und Rüstungstechnologie nicht nur signifikante Beiträge für die Errichtung des „autarken Wehrstaates“, sondern trugen durch die Erkundung und Nutzung der Ressourcen der besetzten Gebiete maßgeblich zur Verlängerung des Krieges bei.


Sie sprechen in Bezug auf die Zeit nach 1945 von einer „Vergangenheitsversenkung“. Was meinen Sie damit?

Den Begriff verdanken wir der Arbeit von Dr. Michael Schüring zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm-/ Max-Planck-Gesellschaft. Kurz gesagt: Im Moment des Kriegsendes setzte die Umdeutung der Ereignisse ein, die ganz wesentlich durch das Ausblenden der vormaligen eigenen aktiven Rolle bis 1945 gekennzeichnet war. Dieses weitgehende Beschweigen der belastenden Aktivitäten und Funktionen im NS-Herrschafts- und Vernichtungsapparat wurde sehr mühsam erst ab Ende der 1960er Jahre aufgebrochen. Die bis dahin vorherrschenden Narrative wiesen großflächige Tabuzonen auf, und es wurde peinlich genau darauf geachtet, diese z. B. in den Nachrufen nicht zu berühren. Diese Vergangenheitsversenkung hatte weitreichende Auswirkungen auf die Erinnerungskulturen nicht nur in den Häusern selbst, sondern auch auf die NS-Forschung im Bereich der Wissenschafts- und Technikgeschichte insgesamt.



In welcher Form werden die Ergebnisse des Forschungsprojekts öffentlich zugänglich gemacht?
Neben zwei internationalen Tagungen wollen wir unsere Ergebnisse in den Häusern präsentieren. Nach Abschluss des Vorhabens Ende 2023 werden zu jeder der nachgeordneten Behörden je zwei Monographien erscheinen, je eine für die Zeit bis 1945 – Schwerpunkt „Verstrickung“ – und eine für die Nachkriegszeit – Schwerpunkt „Erinnerungskultur“. Außerdem werden die Ergebnisse des biographischen Teilprojekts in einer eigenen Publikation publik gemacht. Die Ergebnisse sämtlicher Teilprojekte werden durch die Projektleiter in einer Monographie zusammengefasst.

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